Positionen zur Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik in Regensburg

geschrieben von Waltraud Bierwirth, Ilse Danziger, Luise Gutmann, Reinhard Hanausch, Dieter Weber

26. März 2014

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Zur Situation

Das 20. Jahrhundert – zwei Weltkriege, Faschismus und Holocaust – haben im Gedächtnis der Menschen und im öffentlichen Bewusstsein tiefe Spuren hinterlassen. In vielen Großstädten Bayerns entstanden  in den letzten Jahren NS-Dokumentationszentren, Museen und Institute für NS-Forschung und zur Geschichte des Judentums – wie zum Beispiel in Nürnberg, Würzburg, Augsburg, Bamberg, München oder Fürth.

Vor diesem Hintergrund treten die Defizite in der Erinnerungskultur der Welterbestadt Regensburg immer offener in Erscheinung. Sie stehen in scharfem Kontrast zur sichtbaren öffentlichen Pflege der Denkmäler und Erinnerungsorte aus dem mittelalterlichen Regensburg. So endet zum Beispiel im Historischen Museum die Geschichtsschreibung im 16. Jahrhundert.

Gegen das Vergessen

Bescheidene Mahnmale gegen das Vergessen von Verfolgung und Widerstand musste eine kritische Stadtgesellschaft stets im Widerstand gegen die Stadtratsmehrheit und der von ihr geführten Stadtverwaltung durchsetzen. So ist es bis heute nicht gelungen, angemessen des Leidens und des Todes vieler der 400 Gefangenen im Außenlager Colosseum des KZ-Flossenbürg zu gedenken. Weder Gedenkorte oder Mahnmale erinnern an die vielen hundert ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen im Lager Regensburg oder die über 10 000 Zwangsarbeiter in den Regensburger Lagern, die hierher verschleppt wurden und unter unmenschlichen Bedingungen leben und arbeiten mussten.

Das Gutachten

Im Februar 2013 wurde das nach einer politisch zähen Auseinandersetzung vom Stadtrat in Auftrag gegebene Gutachten mit dem Titel „Das Außenlager Regensburg des KZ Flossenbürg: Geschichte und Erinnerung“ veröffentlicht. Im Gutachten werden neben grundsätzlichen strukturellen Versäumnissen in der Bearbeitung auch die bisher unbearbeiteten „blinden Flecken“ in der Stadtgeschichte benannt.

Zu den größten Versäumnissen in Regensburg gehört die Nichtbeachtung der über tausendjährigen Geschichte der Jüdischen Gemeinde sowie deren Verfolgung und Vernichtung in der NS-Zeit.

Der Umgang mit diesem ersten Gutachten zur unbearbeiteten NS-Geschichte in Regensburg bestätigt, dass viele im Stadtrat wie in der Verwaltung offensichtlich nicht am Bekannt werden der kritischen Aussagen und Schlussfolgerungen der Gutachter interessiert sind. Im Gegensatz zu etlichen mittelalterlichen Buchveröffentlichungen der Stadt Regensburg im Jahr 2013 blieb dieses Gutachten ein „Geheimtipp“ für Insider. Daran ändert auch nichts ein versteckter Link auf der Homepage der Stadt.

Im Februar 2013 beschloss der Kulturausschuss als Reaktion auf das Gutachten, einen „Runden Tisch“ unter Einbeziehung interessierter Bürger und Vereinigungen einzurichten. Weitere Beschlüsse, um die im Gutachten genannten Defizite zu bearbeiten, wurden nicht getroffen, ja nicht einmal diskutiert. Eine wirkliche Veränderung der Haltung bei den Verantwortlichen in Stadtrat und Verwaltung zur Frage der Entwicklung einer städtischen Erinnerungskultur gegenüber der NS-Vergangenheit ist somit bisher nicht in Sichtweite.

Vor diesem Hintergrund formulieren wir

Positionen und Forderungen von Akteuren des „Runden Tischs“

1. Es kann nicht Aufgabe der zivilgesellschaftlichen Initiativen und Akteure eines willkürlich zusammengesetzten  „Runden Tisches“ sein, aus eigenen Ressourcen strukturelle Defizite zur Bearbeitung der NS-Geschichte wie Nachkriegsgeschichte in Regensburg zu beseitigen.

2. Notwendig ist die Einrichtung eines Dokumentationsortes für das 20. Jahrhundert, der gleichzeitig als Gedenk- und Lernort geeignet ist. Dafür bietet sich das zentral gelegene Historische Museum an, das in seiner Kapazität bei weitem nicht ausgeschöpft ist.

  • Im Historischen Museum ist eine Abteilung für Zeitgeschichte einzurichten;
  • In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv wird eine Dokumentationsstelle zur NS-Geschichte wie zur Nachkriegsgeschichte geschaffen;
  •  Zentrale Aufgabe ist die Erforschung der Stadtgeschichte in der NS-Zeit,   insbesondere der im Gutachten genannten „blinden  Flecken“;
  • Für die notwendige Forschungsarbeit ist eine enge Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Geschichte der Universität Regensburg anzustreben.

3. Um die NS-Zeit nicht als isolierten Zeitabschnitt zu betrachten, ist die gesamte Spanne der Stadtgeschichte des 20. Jahrhunderts darzustellen: Kaiserreich, Erster Weltkrieg, Weimarer Republik und Bundesrepublik.

4. Um eine Realisierung sicherzustellen, sind ausreichend Personal und Sachmittel im Haushalt der Stadt bereitzustellen. Das geplante Museum für Bayerische Geschichte in Regensburg entbindet die Stadt nicht von ihrer Verpflichtung, die Stadtgeschichte aufzuarbeiten.

5. Um einen sichtbaren Anfang darzustellen, ist im November 2015 eine Ausstellung über das Novemberpogrom von 1938 in Regensburg zu realisieren. Dazu gehört die Darstellung des NS-Verfolgungsapparats ebenso wie die des Terrors gegen die jüdische Bevölkerung.

Waltraud Bierwirth, Ilse Danziger, Luise Gutmann, Reinhard Hanausch, Dieter Weber

Regensburg, Januar 2014