Regensburg braucht eine Gedenkstätte Colosseum

22. Mai 2009

Liebe Besucher des Menschrechtsfestes, liebe Freundinnen und Freunde! „Herzlich Willkommen in Regensburg, wir sind eine weltoffene und geschichtsbewußte Stadt! Wir sind das mittelalterliche Wunder Deutsch­lands und jetzt sind wir auch noch Weltkulturerbe.“

Die Stadt Regensburg und ihr Bürgertum lässt nichts anbrennen, um die Stadt und ihre Geschichte für die Besucher ins rechte Licht zu rücken. Nichts ist zu teuer, um nach den Spuren der Römer tief in der Erde zu buddeln. Diese Begeisterung für die Vergangenheit erfährt eine Steigerung, wenn es um das mittelalterliche Regensburg geht. Dann kennt die Euphorie keine Grenzen. Das letzte Kleinod wird besprochen: aus dem frühen Mittel­alter, der Blütezeit des Mittelalters und dem späten Mittelalter. Über 100 Bauwerke und noch mehr Kunstdenkmäler. Hauptsache, sie sind aus dem Mittelalter. Die geschichtsträchtigen Entdeckungsreisen durch die Stadt sind an das Mittelalter und vielleicht noch an Napoleon geknüpft. Aber dann ist Schluss mit lustig. Für Regensburg hört mit dem Mittelalter die Geschichte auf. Die jüngere Vergangenheit und insbesondere die NS-Zeit kommen in der Erin­nerungskultur der Stadt nicht vor. Alle Spuren sind getilgt, die Nazis haben um Regensburg einen großen Bogen gemacht. So scheint es. Keiner der vielen neuen Stadtführer erinnert an das Leiden und Sterben der über 14.000 Zwangsarbeiter und Kriegsfangenen, die 1943 in Regensburg lebten. Es waren 14 Prozent der Bevölkerung der Stadt. Verschleppt aus allen Ländern Europas, wo immer die deutsche Wehrmacht wütete. Die Bevölkerung Regensburgs sah das Elend und das Sterben der zur Zwangsarbeit verschleppten Menschen. Sie sah die 400 Gefangenen des KZ-Außenlagers Colosseum in Stadtam­hof, wenn der Marktplatz zum Appellplatz wurde. Stundenlang standen die Gefangenen oft dort, wenn die SS-Bewacher es wollten. Mancher der Gefangenen ließ dabei sein Leben, wenn er sich nach etwas Essbarem bückte, was mitleidige Passanten ihm zuwarfen. Die Bevölkerung Regensburgs sah den Elendszug der Häftlinge, der sich im März 1945 jeden Morgen in Holzpantinen auf den Weg zur Arbeit machte. Ihr Leidensweg begann an der Steinernen Brücke und führte durch die Gassen der Stadt zum Bahngelände zwischen Hauptbahnhof, Ostbahnhof und Prüfeninger Bahnhof. Hier, auf den Bahngleisen mussten sie oft mit bloßen Händen Minen und Blindgänger entschärfen. Unter Schlägen der SS reparierten sie Schienen und räumten Trümmer und Bomben beiseite, damit der Nachschub für die Wehrmacht rollte. Innerhalb von fünf Wochen starben 65 Gefangene. Sie starben bei der Arbeit auf den Schienen, wenn eine Bombe sie zerfetzte; sie starben an Entkräftung, weil sie nichts zu essen hatten oder wurden erschlagen von ihren Bewachern. Der ehemalige Gasthof Colosseum in Stadtamhof ist heute ein schmuckes Wohnhaus. Unten ist noch immer eine Kneipe. Den Saal im ersten Stock, der 400 Gefangenen zum KZ wurde, gibt es nicht mehr. Wohnungen wurden eingerichtet, was sensiblen Bewohnern zum Alptraum wird, die dann ausziehen. In großen Lettern prangt auf dem Gebäude „Colosseum“. Eine Gedenktafel, die an das Leiden und Sterben der KZ-Gefangenen erin­nert, gibt es nicht. Seit vielen Jahren gibt es in Regensburg ein unsägliches Verweigern um diese Gedenktafel. 1994 glaubte die Stadt das Problem gelöst zu haben, als nach langem, mühseligen Kampf endlich ein Denkmal eingeweiht wurde, den Opfern des KZ-AuBenlagers gewidmet. Der direkte Bezug zum Colosseum fehlt. Irgendwann in den letzten Jahren wurde das Denkmal zur Seite geschoben und der Stein wurde zur Duftmarke für Hunde und Haltepunkt für Fahrräder. Wenn in den Schulen der Stadt das Kapitel Nazi-Zeit in Regensburg auf dem Stundenplan steht, haben es die Lehrer schwer authentisch vor Ort zu vermitteln. 1m Stadthistorischen Museum ist mit dem Mittelalter Schluss. Obwohl gerade dieses Museum geeignet wäre, über Widerstand und Verfol­gung in Regensburg zu informieren. Kein Museum der Stadt nimmt sich dieses düsteren Kapitels an, obwohl es in Regensburg sämtliche Einrichtungen des Terrors und der Bespitzelung gegeben hat. Vom Braunen Haus bis hin zum Gesta­po-Folterkeller im Minoritenweg. Ais der Zug der Erinnerung in Regensburg Station machte, kamen allein am Dienstag 40 Schulklassen, um sich über die Sonderzüge in den Tod zu infor­mieren. Zugbegleiter suchten mit Regensburgern das ehemalige KZ-Außenla­ger Colosseum in Stadtamhof auf, um sich ein Bild zu machen. Ihnen erging es so, wie zwei KZ-Überlebenden, die vor geraumer Zeit den Ort ihres Leidens aufsuchten. Ein Gang durch das Colosseum war nicht möglich. Dort, wo einst die offene Küche für die KZ-Gefangenen betrieben wurde, im Innenhof der Mälzerei Hermann, wurden sie von einem wütenden Besitzer vom Hof gejagt. So erging es auch den Zugbegleitern. Ais Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Anti­faschisten stelle ich fest: Regensburg braucht eine Mahn- und Gedenkstätte, die Widerstand und Verfolgung in Regensburg authentisch dokumentiert. Dafür gibt es in dieser Stadt einen Ort, der für immer einen Platz auf der Karte des Grauens gefunden hat: das Colosseum in Stadtamhof, in dem 65 Gefan­gene starben. Es ist der einzige authentische Ort in Regensburg, der das Handeln der mörderischen Täter und das Sterben der Opfer zusammenbringt. Erinnerungsarbeit und Zukunftserwartung sind die zwei Seiten derselben Medaille. Damit die jüngeren Generationen nachvollziehen können, was die Herrschaft der Nazis ermöglichte, bedarf es der Kenntnis der Geschichte im Tatsächlichen und im Verstehbaren. Deshalb braucht Regensburg eine Mahn- und Gedenkstätte im ehemaligen KZ-Außenlager Colosseum. Und die Unterstützung vieler Menschen, damit es Wirklichkeit wird.