Die Erhängungen von Tulle – Ein ungesühntes Verbrechen

10. Januar 2010

„Nachdem die Ausstellung ‚Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944’ in den 90er Jahren die Legende von der ‚sauberen Wehrmacht’ endgültig zerstört hat, zeigt Bruno Kartheuser nun in einem bewundernswerten wissenschaftlichen Kraftakt den verbrecherischen Krieg, den Wehrmacht, Polizei und SS von 1941 bis 1944 im besetzten Frankreich führten: Die 99 Gehängten von Tulle erinnern an die ‚Alleen der Gehängten’ in den Städten Russlands und der Ukraine, und die Henker, erfährt man, hatten in den meisten Fällen ihr blutiges Handwerk dort gelernt. Andere Publikationen, die der Wehrmacht attestieren, gegen die französischen Partisanen einen ‚harten, aber konventionellen Krieg’ geführt zu haben, erweisen sich angesichts der Belege von Bruno Kartheuser als reine Apologie.“ Hannes Heer

Vor 66 Jahren ereignete sich die Mordaktion von Tulle in der Corrèze, im französischen Südwesten. Dort erhängte die SS-Truppe ‚Das Reich’ am 9. Juni 1944 als Repressalie für einen Angriff des Widerstandes 99 Männer, willkürlich ausgewählte Zivilisten, um die Bevölkerung der Region zu terrorisieren. Am 10. Juni wurden weitere 140 Männer aus Tulle deportiert. Am selben Tag wurde die Ortschaft Oradour von einer anderen Einheit derselben Division ausgelöscht, mit einer Bilanz von 642 Opfern. Der Hauptverantwortliche dieser Mordaktionen, Brigadeführer Lammerding, lebte trotz einer Verurteilung zum Tode durch ein Militärgericht in Bordeaux bis zu seinem Lebensende 1971 unbehelligt in Düsseldorf.

Die mitverantwortlichen deutschen Armee- und Polizeiführer wurden gerichtlich nicht wegen der Ereignisse von Tulle belangt. Das juridische Ergebnis ist ein Scherbenhaufen, der die Angehörigen der Opfer nur beleidigen kann. Die Beispiele einiger aktueller Verfahren – Boere in Aachen, Demjanjuk in München, die Ermittlung der Morde von Maillé – erscheinen fast wie hilflose, verspätete Übungen, die nicht darüber hinwegtäuschen können, dass in der Masse der von der NS-Militärmaschine in Europa begangenen Verbrechen nur ganz wenige Fälle wirklich juristisch aufgearbeitet worden sind. Die meisten an den Verbrechen Beteiligten sind unbestraft geblieben.

Mit dieser Arbeit – eine elfjährige Nachforschung, eine Dokumentation in vier Bänden – betreibt Bruno Kartheuser europäische Geschichtsschreibung, bei der die nationalen Grenzen und Rücksichten überwunden werden, um ein Verbrechen nach grundsätzlichen Kriterien des Rechts und der Humanität in einer universalen Sprache zu schildern und zu bewerten. Er widmet seine Nachforschung den Opfern von Tulle, in der Hoffnung, dass sie in einem künftigen europäischen Geschichtsbewusstsein aufgehoben sein werden.

Bruno Kartheuser: 1947 Lüttich, lebt in Neundorf/St. Vith Belgien. Studium in Löwen, langjährige Lehrtätigkeit, Literaturbeauftragter in Ostbelgien, Herausgeber der Literaturzeitschrift KRAUTGARTEN. Historische Publikationen: Kriegsverbrechen Stavelot Dezember 1944 (zweisprachig Dt.-Franz.), 1995. 2001-2008 Tetralogie Walter, SD in Tulle: (in Dt. und Franz.): Bd. 1. Die 30er Jahre in Eupen-Malmedy (2001). Bd. 2. Das besetzte Frankreich 1940-1943 (2002). Bd. 3. Die Erhängungen von Tulle der 9. Juni 1944 (2004). Bd. 4. Die Erhängungen von Tulle. Ein ungesühntes Verbrechen (2008).