65 Jahre VVN – Festveranstaltung im Hesperidengarten bei Regensburg

1. September 2012

Liebe Freundinnen und Freunde der VVN – Bund der Antifaschisten, liebe Irmgard Zauner, lieber Ernst Grube, liebe Kameradinnen und Kameraden!Es ist mir eine Freude, Sie heute hier begrüßen zu können. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten in Regensburg und Bayern wurde 65 Jahre alt. Das ist ein großer politischer Erfolg, denn es hat nicht wenige Versuche gegeben, ihr das Lebenslicht auszublasen. Das gelang auch deshalb nicht, weil der VVN – Bund der Antifaschisten in den vergangenen sechs Jahrzehnten verlässliche Freunde und Mitstreiter zur Seite standen. Sehr gern begrüße ich Franz Schindler, SPD-Landtagsabgeordneter aus Schwandorf. Mit dem Vorsitz im NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag hat er einen schwierigen Job übernommen. Ich begrüße die Regensburger Landtagsabgeordnete Margit Wild und ihre Kollegin Maria Scharfenberg von den Grünen. Mein herzliches Willkommen gilt allen Gästen und Mitstreitern aus der Stadt, der Kommunalpolitik und den Organisationen wie den Falken und dem DGB, mit denen wir seit Jahren im Ziel verbunden sind: Kein Platz für Nazis.

Im September vor 65 Jahren, es war Sonntag, der 14. September 1947, lud die VVN zur Gedenkfeier an die „Opfer des Faschismus“ ins Regensburger Stadttheater ein. Es war brechend voll und die vielen hundert Männer und Frauen waren sich mit dem Festredner, dem bayerischen Staatskommissar Philipp Auerbach einig: Ohne die Verfolgten, die Männer und Frauen, die gestern gelitten haben, wird es keinen demokratischen Neuanfang geben. Philipp Auerbach war Jude und SPD-Mitglied, Unternehmer und aktiver Widerstandskämpfer gegen die Nazis. 1940 war er verhaftet worden. Er überlebte die Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald und wurde von den Amerikanern 1946 in München für rassisch, religiös und politisch Verfolgte, für die Wiedergutmachung, eingesetzt. Er war einer der Mitbegründer der VVN.

Mehr als 900 Mitglieder zählte die VVN Regensburg 1947 als der organisations-politische Rahmen stand, und der Sozialdemokrat Alfred Liebreich zum ersten Vorsitzenden gewählt wurde. Die früheren Differenzen zwischen den Parteien, insbesondere zwischen den Arbeiterparteien, hatten angesichts der realen Erfahrungen von Krieg und Naziherrschaft ihre Bedeutung verloren. Überall in der Oberpfalz, in Schwandorf, Weiden, Amberg oder Sulzbach-Rosenberg, hatten die politischen Gegner des Naziregimes örtliche VVN-Vereinigungen gegründet. Der demokratische Neubeginn sollte eine moralische und politische Legitimation haben. Die Stimme des politischen Widerstands. Mit Antifaschistischen Ausschüssen und Hilfswerken hatte die Arbeit der KZ-Überlebenden nach ihrer Befreiung begonnen. Die Fürsorge für die Überlebenden, für die Opfer der Nazis, stand am Anfang, als die mit dem roten Winkel der politischen Gefangenen aus den Konzentrationslagern in ihre Heimatstadt Regensburg zurückkehrten.

Die Jahre des Grauens in den Konzentrationslagern Dachau und Flossenbürg hatten dem Sozialdemokraten Fritz Enderlein und dem Gewerkschafter Michael Burgau den Blick für das Elend auf Regensburgs Straßen nicht getrübt. Am 27. Juni 1945 schrieben sie mit zwei weiteren Kameraden einen Brief an die Alliierte Militärregierung und Oberbürgermeister Titze. Sie baten um die Erlaubnis, ein Hilfskomitee zur Unterstützung entlassener KZ-Häftlinge zu gründen. Auf den Straßen der Stadt hatten sie Befreite aus den Konzentrationslagern in den gestreiften Häftlingskleidern getroffen. Den Unbehausten wollten sie mit Kleidern und dem Nötigsten helfen. Dafür brauchten sie einen leerstehenden Laden oder ein Lokal, um eine Anlaufstelle einzurichten. Der von den Amerikanern eingesetzte Oberbürgermeister reagierte schnell. Auf der Rückseite ihres Briefes antwortete Gerhard Titze noch am selben Tag an Fritz Enderlein. Er habe Anweisung für die Einrichtung von sechs Sammelstellen gegeben. Zwei Tage später veröffentlichte die „Regensburger Post“, das von den Amerikanern herausgegebene Mitteilungsblatt, den Aufruf „Hilfe für KZ-Häftlinge“. Ja, es wurde von den Regensburgern gespendet: Bettwäsche, Wolldecken, Handtücher, Kleidung und 72 000 Reichsmark. „Es gab auffallend hohe Spenden von politisch Belasteten für die Betreuung von politisch Verfolgten“, kommentierte ein Briefschreiber die dicke Spende vom Milchwerk. Dieses war in der Bevölkerung als Nazihochburg verschrieen, denn mit zackigen Betriebsappellen hatte dessen Direktor die Beschäftigten regelmäßig traktiert.

Auf das politische Engagement und die aktive Mitarbeit der Antifaschisten waren die Oberbürgermeister Gerhard Titze und ab Juli 1946 Alfons Heiß angewiesen, wenn sie das Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus mit Leben erfüllen und die Entnazifizierung der Täter verwirklichen wollten.

Und Nazis gab es jede Menge in Regensburg. Etwa 8 000 Nazitäter und Belastete hatten die Amerikaner im Internierungslager Regensburg gefangen gesetzt, und 5 601 Personen waren bei der ersten Wahl zum bayerischen Landtag und dem Volksentscheid über die bayerische Verfassung „wegen Nazizugehörigkeit“ nicht in die Wählerliste aufgenommen oder gestrichen worden. In Regensburg war es nicht leicht unbelastete bürgerliche Kandidaten für die Besetzung der Spruchkammern für die anstehenden Entnazifizierungsverfahren zu finden. Mitglieder der VVN, ob Sozialdemokraten, Kommunisten, Christen oder Gewerkschafter, stellten sich dieser Aufgabe. Sie wollten Sühnemaßnahmen für all das Leid und den Kummer, der Millionen Menschen zugefügt worden war, ermöglicht sehen. Die Schuldigen sollten hart bestraft werden, die Nachsicht galt den jungen Menschen. Das drückte sich Ende 1946 in einer großen Jugendamnestie aus.

In der Bevölkerung waren die Spruchkammerverfahren bald verhasst. Die Bestrafung der wirklich Schuldigen in allen Bereichen hatten die Alliierten an sich gezogen. Wie „Die Politische Säuberung“, so hieß die tägliche Rubrik in der Heimatzeitung, in der Praxis ablief, verstärkte die weit verbreitete Ansicht: „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“ Die Folgen: Schmähungen, Drohungen, Bombenattentate auf Antifaschisten.

Im März 1947 waren auf die Räume der VVN in Nürnberg zwei Bombenattentate verübt worden. „Machtvoller Protest gegen die Bombenwerfer“ schrieb die von Nazi-Gegner Karl Esser herausgegebene Mittelbayerische Zeitung über die Kundgebung der VVN am 1. April 1947 im Regensburger Neuhaussaal. Aus heutiger Sicht erstaunlich weitsichtig urteilte der damalige VVN-Landesvor-sitzende Ludwig Schmitt: „Nicht die Bajonette der Besatzungsmächte, sondern die eigene Kraft mit dem Terrorismus fertig zu werden, wird für die demokratische Kraft Bayerns entscheidend sein.“ Ende 1947, die Amerikaner drängten massiv auf die Beschleunigung der Verfahren, der bereits längst eingesetzte „Kalte Krieg“ nahm an Stärke zu, zogen sich viele VVN-Mitglieder aus den Spruchkammerverfahren zurück. So hatten sich die Nazi-Gegner „die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln und den Aufbau einer neuen Welt des Frieden und der Freiheit“ gemäß dem Schwur der KZ-Gefangenen von Buchenwald nicht vorgestellt.

Seine Mitarbeit stellte auch Michael Kumpfmüller, 2. Vorsitzender der VVN und stellvertretender Vorsitzender der Spruchkammer III auf den Prüfstand. Der gelernte Schmied und Kommunist Kumpfmüller hatte als Monteur bei der Reichsbahn in Regensburg gearbeitet. Ende 1941 war er verhaftet worden, weil er hungernden sowjetischen Kriegsgefangenen mehrmals Butter- und Schinkenbrote geschenkt hatte. So stand es in den Akten des Nürnberger Sondergerichts, das ihn zu 20 Monaten Zuchthaus verurteilt hatte. Aus der Haft heraus wurde er dem Strafbataillon 999 überstellt. Er sollte Partisanen in Griechenland jagen. Michael Kumpfmüller desertierte zur griechischen Freiheitsarmee.

Die Spruchkammern hatten es nach 1947 schnell raus, wie aus hauptschuldigen Schweinehunden auf dem Verfahrensweg über Berufungskammern, Kassationshof und erneuten Verhandlungen Minderbelastete und Mitläufer wurden. Die Persilschein-Politik wurde zum Kennzeichen der Adenauer-Ära und begleitete den Weg der Nazi-Größen in eine mehrheitlich antisemitisch und faschistoid eingestellte Gesellschaft. Das gilt auch für Regensburg und dafür stehen die Biografien des SS-Brigadeführers und Nazi-Oberbürgermeisters Schottenheim und seines Adlatus Hans Herrmann, der es schon bald wieder zum CSU-Oberbürgermeister schaffen sollte. Der Weg in eine bürgerliche Existenz mit alten Macht- und Politikansprüchen war vollends geebnet, als der Bayerische Landtag im Juli 1950 die Entnazifizierung für beendet erklärte. Der so vorgenommene Schlussstrich unter die politische wie strafrechtliche Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und die im Eiltempo verabschiedeten Amnestiegesetze in der Adenauer-Ära sollte Folgen haben, die bis heute nachwirken.

In Regensburg schlug nun auch die Stunde von ehemaligen SS- und Gestapo-Angehörigen, ihre Wiederverwendung im Polizeidienst einzufordern. Auf der Liste der zu übernehmenden Gestapo- und SS-Mitglieder standen 23 Namen plus der von Kriminalrat Teichmann, ehemals SS-Hauptsturmführer. Auch für die ehemaligen Gestapo-Angehörigen Pilz, Götz und Scherm, alle mit Erfahrung in der Partisanenbekämpfung, fand sich Verwendung: „Verstärkung des K IIIa.“ Das war die politische Polizei beziehungsweise der Verfassungsschutz. Da wollte aus dem Bereich der Kripo keiner freiwillig hin. Also wurde angeordnet. Es liegt auf der Hand, Mutmaßungen über Traditionslinien beim Inlandsgeheimdienst, dem Verfassungsschutz anzustellen, insbesondere nachdem die Organisation Gehlen voll integriert worden war.

Warum sich aus dem Bereich der Kripo keiner freiwillig in die Dienststelle K IIIa melden wollte, liest sich in einem polizeilichen Aktenvermerk in Regensburg so: „Der Grund scheint in mangelnder demokratischer Haltung, in zu geringem Vertrauen auf den Bestand der Demokratie und dem Mangel an Verständnis für die Aufgaben des Verfassungsschutzes zu liegen.“ Die Schulung in Hitlers Geheimpolizei, der Gestapo, brachten die ersten Verfassungsschützer freilich mit in ihren neuen Job: Und so dauerte es dann auch nicht mehr lange, bis die Verfolgten des Naziregimes wieder zu Verfolgten wurden.

Die Geschichte wie die politische Arbeit der VVN ist eng mit den politischen Zeitläuften der Bundesrepublik verknüpft. Im Mai 1971 erfolgte die Öffnung der VVN zum „Bund der Antifaschisten“. Die 68er-Bewegung hatte die Vergangenheitspolitik, den Umgang mit Faschismus, Krieg und Nazi-Tätern auf die Tagesordnung gesetzt. Gegen das Erstarken der NPD und neuen Nazis machten die ehemaligen Verfolgten und die jungen Antifaschisten gemeinsam Front. In einer gemeinsamen antifaschistischen Organisation.

Für die VVN – Bund der Antifaschisten in Regensburg wird der Widerstand gegen alte und neue Nazis auch in Zukunft die wichtigste politische Aufgabe bleiben. Die Hintergründe für die zehn Morde der NSU-Mörder, davon fünf allein in Bayern, müssen aufgeklärt werden. Wir erwarten auch eine Antwort darauf, warum der bayerische Verfassungsschutz in den vergangenen Jahren, angefangen beim Oktoberfest-Attentat bis heute, das Gewaltpotential der Neonazis so falsch einschätzte und wegschaute, wo hinschauen geboten war. Wir werden unsere Kampagne für ein NPD-Verbot so lange fortsetzen,bis diese Partei verboten ist.

Der zweite Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Erinnerungspolitik. Was etliche Großstädte bereits erreicht haben, die NS-Zeit in ihrer Stadt zu dokumentieren, um Wissen anhand von authentischen Dokumenten zu vermitteln, ist in Regensburg bis heute auch nicht ansatzweise gelungen. Nur einmal im Jahr, bei unserem alljährlichen Gedenkweg für die Opfer des Faschismus am 23. April, dem Beginn des Todesmarsches der 400 KZ-Gefangenen des Colosseum wird Erinnerung sichtbar gemacht. Nichts erinnert an das Leiden und Sterben vieler Tausend Zwangsarbeiter bei Messerschmitt und anderen Rüstungsbetrieben der Stadt. Die Forderung nach der Errichtung eines NS-Dokumentationszentrums zur Vermittlung, Sammlung und Erforschung der lokalen Geschichte des Faschismus ist auch Aufgabe einer kritischen Stadtgesellschaft. Arbeiten wir gemeinsam daran.